1913
S. Fischer, Verlag, Berlin
Zweite Auflage
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright 1913 by S. Fischer, Verlag, Berlin
Zwei Monate aus Mariclées seltsamem Leben seienhier preisgegeben und der Vorhang weit davonzurückgeschlagen; dann falle er wieder zu, und sie magwieder ihres Weges ziehen. Man nannte sie Mariclée.Niemand wußte, wer sie zuerst so nannte, aberkeiner nannte sie anders. Und es war bezeichnend, dennsie hatte etwas Namenloses, Unzuständiges, wie esauch stets ihr Los war, mit gesellschaftlich denkbarverschiedensten Leuten in Kontakt zu kommen undselbst keinem einzigen Kreis anzugehören. Dies führteso weit zurück, als sie sich erinnern konnte, und fügtesich so allerorts, als müßte es so sein.
Denn in unserem Leben stehen wir wie inmitteneiner Landschaft, und mögen unsere Schicksale nochso bereichert wiederkehren, sie weisen doch einen höchstgleichartigen Charakter auf; wie etwa ein Gletschernicht auf einer Düne steht: diese Art von Uniformität,meine ich, trägt unser Leben zur Schau.
Und das ihre glich einer Bergstraße. Wo nur einAusblick lag, da würde sie stehen; da zog sich ihr Weghin, doch lenkte er nie bis ins gelobte Land hinein.Nur eines anzuführen: Mariclée kam leicht in Palästenzu wohnen, wie die Steinnelke gern an steilenAnhängen wächst. Aber sie hatte kein Geld. An ihrwar alles wie hingeflogen und wieder abgerissen: ihrVerhältnis zum Leben, zur Natur, zu den Menschen,zu sich selbst. Sie stand sich nicht sehr nahe. Unddarum gehörte sie zu jenen heute nicht mehr seltenenMenschen, von denen behauptet wird, daß sie nichtlieben können.
Mariclée hatte viele Freunde und dachte sie diesezu einer Garbe zusammengestellt, so hielt sie eineProbe der verschiedensten, seltensten Blumen, die’sheute gibt. Denn auch dies war ihr Geschick, daß siespät oder früh, dauernd oder flüchtig auf ihrem Wegeblühten. Darum stand sie zu ihnen wie ein Kunstsammlerzu seinen Raritäten: daher ihr Spleen, vielleichtauch ihre Blasiertheit. Denn wer die Menschenihrem Wert nach liebt, der schätzt den einen gegen denanderen ab, und das schrankenlose Aufgehen in einemeinzigen vermag er nicht mehr.
Doch auch die besten Auktionen haben ihre Glanznummern.Und plötzlich war es über sie gekommen,daß sie im August des Jahres 1909 nach London fuhr,um nach Jahren ein Wunderexemplar ihrer Sammlungwieder vorzunehmen. Allein es fing gleich damitan, daß sie einander verfehlten. Das „Exemplar“— es soll nicht anders heißen in dieser halb leidenschaftlichen,halb kuriosen Geschichte — hatte sich eingefunden,aber Mariclée hatte sich unbegreiflicherweiseim Datum geirrt und traf erst am folgenden Morgenein. Jetzt mußte sie zehn Tage bleiben, wenn sie ihnerwarten wollte.
Es war ihr erster Abend. Wie mit einem gelben,welken Schleier umwob die Hitze den Himmel undden träumerischen Park von St. James. Über dieBrücke gebeugt, hingen ihre Blicke an den Wasserflächenund tauchten