Der Waldbrand.
Sehr geliebter Bruder!
Bruder! — so nenn’ ich Dich noch — nach fünfzehn JahrenTrennung — und nenn’ ich Dich hier, in tausend Meilen Entfernung.Ich dachte wohl sonst in meiner Einsamkeit, nun müß’ich Dich erst recht Bruder nennen, mit Dir wie mit einem Nahen,Lebendigen leben, ja als den Nächsten im Herzen Dich tragen,und Deine Gestalt durch feurige Liebe an jedem Morgen lebendigund rege, freundlich und wiederliebend mir aufglühen, mirfrisch erhalten und aufschaffen, wie eine Hyazinthe, die ich alsZwiebel von deinem Fenster mit mir herüber nahm und durchmühsame Pflege zu einer immerwährenden Blume so fortgesetzt.— Aber, o Bruder! Wirken ist Leben! Wir leben nur denen, aufwelche wir wirken; und die auf uns wirken, die leben uns nur.Und so umschweben uns auf der Erde viel Millionen Lebendigerzwar, doch nur wie Todte! Es ist uns nur tröstlich, zu wissen:sie wohnen und wandeln mit uns und genießen wie wir das heiligeLeben und sehen den Mond und die Sonne; und darum sinduns Mond und Sonne, die Tag und Nacht in ihre Gärten, ihreWohnungen, ja in ihre Augen leuchten, wieder so unaussprechlichlieb, hold, freundlich und gewärtig! Gute Menschheit, geheimnißvollerVerband der Sterblichen, erquickende Nähe der Ferne!Aber wie wir Menschen sind, lebt uns doch der Entfernte nicht,sein Leben schließt sich uns mit der Stunde zu, sein Herz, seinWandel, sein Sinnen und Streben bleibt uns verschlossen, seitdemwir ihm zum letzten Male ins Auge sahen! Seine strebendeleibhafte Gestalt ist uns nur ein farbiges flüsterndes Schattengebild,seitdem wir im Händedruck zum letzten Mal die wohlthuendeheilige Wärme seines Daseins empfanden. So bin ich EntfernterDir — hin! hinüber! Du mir zurück! ewig dahinten! Und nureinbilden kann ich mir noch, wie Du wohl lebst — was Duam Morgen thust — wie Du die Nacht schlummerst — wenn esso ist — ich rathe es nur, doch ich weiß es nicht! Und nur jenesnun feste, unwandelbare Gebild, das Du in jenen Tagen warst,die über unsern Kinderspielen, über unsern Jünglingswanderungenverloschen — das bist Du mir noch, und bleibst Du mir fort.Wie in einem wahreren Reiche des Traumes weck ich Dein —Traumbild auf und rede und lebe mit ihm — im Traum. Denndamit der Mensch ganz dem Tag’ und der Gegenwart gehöre,deshalb verschattet ihm die Natur sein früheres Leben, wie siedem Neugebornen sein ganzes früheres Dasein in die innere Tiefeversenkt und gewiß ihm da geheim bewahrt! O wie viel schlummertdort! — und eine gegenwärtige kleine Lust überbietet allevorigen hohen Freuden! und ein gegenwärtiger Schmerz verdrängtalles frühere Leid! Um den heut Begrabenen weinen wir neueThränen und denken des Lieben nur noch wie im Traum, aufdessen begrüntem Hügel wir stehen, indeß wir den Frischentrissenenbang und wie betäubt versenken sehen! Auch das ist gut,ja es ist schön, damit jedes Gefühl sein volles Recht in uns erlange,daß wir es Jedem zollen, sei dieß Recht nun Mit-Leid,oder Mit-Freude.
Und so bitt’ ich Dich heut, zolle mir Dein — Mit-Leid!Du wirst es nach-empfinden können, auch wenn Du Dir nureinbildest: das traurige Geschick habe Den betroffen, den