1921
S. Fischer, Verlag, Berlin
27.—36. Auflage
Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten
Copyright 1919 S. Fischer, Verlag, Berlin
Ich wollte ja nichts als das zu lebenversuchen, was von selber aus mir herauswollte. Warum war das so sehr schwer?
Um meine Geschichte zu erzählen, muß ich weitvorn anfangen. Ich müßte, wäre es mir möglich,noch viel weiter zurück gehen, bis in die allererstenJahre meiner Kindheit und noch über siehinaus in die Ferne meiner Herkunft zurück.
Die Dichter, wenn sie Romane schreiben, pflegenso zu tun, als seien sie Gott und könnten irgendeineMenschengeschichte ganz und gar überblickenund begreifen und sie so darstellen, wie wenn Gottsie sich selber erzählte, ohne alle Schleier, überallwesentlich. Das kann ich nicht, so wenig wie dieDichter es können. Meine Geschichte aber ist mirwichtiger als irgendeinem Dichter die seinige; dennsie ist meine eigene, und sie ist die Geschichte einesMenschen — nicht eines erfundenen, eines möglichen,eines idealen oder sonstwie nicht vorhandenen,sondern eines wirklichen, einmaligen, lebendenMenschen. Was das ist, ein wirklicher lebenderMensch, das weiß man heute allerdings wenigerals jemals, und man schießt denn auch die Menschen,deren jeder ein kostbarer, einmaliger Versuchder Natur ist, zu Mengen tot. Wären wir nichtnoch mehr als einmalige Menschen, könnte manjeden von uns wirklich mit einer Flintenkugel ganzund gar aus der Welt schaffen, so hätte es keinenSinn mehr, Geschichten zu erzählen. Jeder Menschaber ist nicht nur er selber, er ist auch der einmalige,ganz besondere, in jedem Fall wichtige undmerkwürdige Punkt, wo die Erscheinungen der Weltsich kreuzen, nur einmal so und nie wieder. Darumist jedes Menschen Geschichte wichtig, ewig, göttlich,darum ist jeder Mensch, solange er irgendlebt und den Willen der Natur erfüllt, wunderbarund jeder Aufmerksamkeit würdig. In jedem istder Geist Gestalt geworden, in jedem leidet dieKreatur, in jedem wird ein Erlöser gekreuzigt.
Wenige wissen heute, was der Mensch ist. Vielefühlen es, und sterben darum leichter, wie ich leichtersterben werde, wenn ich diese Geschichte fertiggeschriebenhabe.
Einen Wissenden darf ich mich nicht nennen.Ich war ein Suchender und bin es noch, aber ichsuche nicht mehr auf den Sternen und in denBüchern, ich beginne die Lehren zu hören, diemein Blut in mir rauscht. Meine Geschichte istnicht angenehm, sie ist nicht süß und harmonischwie die erfundenen Geschichten, sie schmeckt nachUnsinn und Verwirrung, nach Wahnsinn undTraum wie das Leben aller Menschen, die sichnicht mehr belügen wollen.