MECHTILD LICHNOWSKY
KURT WOLFF / VERLAG
BÜCHEREI „DER JÜNGSTE TAG“ BAND 56
DRUCK DER SPAMERSCHEN BUCHDRUCKEREI IN LEIPZIG
Ich beuge mein Haupt in vollkommener Liebezu Dir, o Mensch, ich beuge es, denn ichfühle kein Leid.
Du aber lebst davon und erfandest die Freude.
Ich bete zu Dir. Das ist die vollkommeneLiebe.
Ich erflehe nichts. Deine Arbeit erwarte ichnicht.
Ich klage mich nicht an. Der Strom meinerLiebe zu Dir ist einer Säule gleich, fließend undunbewegt.
Beten ist Lieben. So bete ich Dich an. Sobete ich zu Dir, lieber Mensch, denn Du bistallgütig und unsichtbar.
Wer weiß von Dir?
Du selbst nicht. Und die andern nicht.
Du siehst Dich nicht. Du atmest den Wohlgeruchnicht, der aus der Tiefe Deines Seelenkelcheszu mir dringt.
Schöner warmer Kelch. Dein Leben perlt anden goldenen Wänden.
Und außerhalb des Bechers steht ein kühlerSchweiß, der mich erbarmt.
Ich trinke Dich zur Neige in vollkommenerLiebe.
Du liebst meine Geschöpfe. Ich fühle es, wennich Dich trinke.
Du fandest eine Sprache im Wind, den ichrief um meine Welt zu trocknen, als ich sie schuf.Ich höre Deine Musik, wenn ich Dich trinke.
Du griffst nach meinen Sonnenstrahlen, dieich brach zu Deinem Spielzeug. Ich begrüßedie tausend Farben in Dir, wenn ich Dichtrinke.
Du hast mit deinen kleinen Händen meineErde gehalten und ihre Formen gefühlt. Undzu mir sprachst Du in dieser Sprache.
Ich fühle Deine Hände, wenn ich Dich trinke.
Vielmals vielfach gibst Du mir in Liebkosungmeine Liebe wieder. Dich liebst Du nicht.Spielst nicht mit Dir. Lebst nicht für Dich.Du bist ein anderer als Du selbst.
Aber keiner soll Dich für einen andern halten.Ich will Dich mit meiner Liebe zeichnen. Allesollen an Dich glauben. So will es meine Liebe.
Du bist still und demütig. Und doch ist DeinStolz weiß und hart wie meine Schneegebirge.
Du senkst die Augen und glaubst nicht ihremLeuchten. Ich aber baue darauf einen Tempel.Kein Stern verzehrt blauere Funken als DeinesHerzens Herd mir zum Genusse sendet.
Du mein höchstes, geliebtestes Werk. Ichdanke Dir, daß Du mit Deinem Schöpfergeduldig bist.
Ich könnte vor Dich treten und mich Dirzeigen.
Und doch bitte ich Dich, erlasse mir dieses.
Denn sähest Du mich, verlörest Du den Glaubenan meine Gegenwart.
Unsichtbar, lieber, geliebter Mensch, hülle ichDich mit jedem Atem tiefer in meine Gedankenein. So bin ich Dir nahe. Denn ich durchdringein Dir Falten, die meine Sichtbarkeit erdrückenwürden.
Und auf diese Falten habe ich es in meinerLiebe zu Dir abgesehen. Nicht weil Du Dichmir hingibst, lieber Mensch, lodert in mir eineunendliche Liebe zu Dir. Nicht weil Dich derBoden quält, auf dem Du stehst. Nicht weil Dumich fürchtest, zu mir sprichst, mir opferst, michrufst, mein Lob verkündest:
Ich liebe Dich, weil ich Dich voraussah.
Ich liebe Dich, weil Du mir gerietest.
Ich nenne Dich