Novellen
von
Ludwig Tieck.

Erster Band.

Die Gemälde.
Die Verlobung.
Die Reisenden.
Musikalische Leiden und Freuden.

Berlin,
Druck und Verlag von G. Reimer.
1844.

Ludwig Tieck’s
Schriften.

Siebzehnter Band.

Novellen.

Berlin,
Druck und Verlag von G. Reimer.
1844.

Die Gemälde.
Novelle.

Treten Sie nur indeß hier in den Bildersaal, sagte derDiener, indem er den jungen Eduard herein ließ; deralte Herr wird gleich zu Ihnen kommen.

Mit schwerem Herzen ging der junge Mann durchdie Thüre. Mit wie so andern Gefühlen, dachte er beisich selbst, schritt ich sonst mit meinem würdigen Vaterdurch diese Zimmer! Das ist das erste Mal, daß ich michzu dergleichen hergebe, und es soll auch das letzte seyn.Wahrlich das soll es! Und es ist Zeit, daß ich von mirund der Welt anders denke.

Er trat weiter im Saale vor, indem er ein eingehülltesGemälde an die Wand stellte. Wie man nur sounter leblosen Bildern ausdauern kann, und einzig inihnen und für sie da seyn! so setzte er seine stummenBetrachtungen fort. Ist es nicht, als wenn diese Enthusiastenin einem verzauberten Reiche untergehen? Für sieist nur die Kunst das Fenster, durch welches sie die Naturund die Welt erblicken; sie können beide nur erkennen,indem sie sie mit den Nachahmungen derselben vergleichen.Und so verträumte doch auch mein Vater seineJahre; was nicht Bezug auf seine Sammlung hatte, warfür ihn nicht bedeutender, als wenn es unter dem Polevorfiele. Seltsam, wie jede Begeisterung so leicht dahinführt, unser Dasein und alle unsere Gefühle zu beschränken.

Indem erhob er sein Auge, und war fast geblendetoder erschrocken vor einem Gemälde, welches in der obernRegion des hohen Saales ohne den Schmuck eines Rahmenshing. Ein blonder Mädchenkopf mit zierlich verwirrtenLocken und muthwilligem Lächeln guckte herab,im leichten Nachtkleide, die eine Schulter etwas entblößt,die voll und glänzend schien; in langen zierlichen Fingernhielt sie eine eben aufgeblühte Rose, die sie den glühendrothen Lippen näherte. Nun wahrlich! rief Eduard laut,wenn dies Bild von Rubens ist, wie es seyn muß, sohat der herrliche Mann in dergleichen Gegenständen alleandern Meister übertroffen! Das lebt, das athmet! Wiedie frische Rose den noch frischeren Lippen entgegen blüht!Wie sanft und zart die Röthe beider in einander leuchtetund doch so sicher getrennt ist. Und dieser Glanz dervollen Schulter, darüber die Flachshaare in Unordnunggestreut! Wie kann der alte Walther sein bestes Stückso hoch hinauf hängen und ohne Rahmen lassen, da alldas andre Zeug in den kostbarsten Zierden glänzt?

Er erhob wieder den Blick und fing an zu begreifen,welche gewaltige Kunst die der Malerei sei, denndas Bild wurde immer lebendiger. Nein, diese Augen!sprach er wieder zu sich selbst, ganz im Anschauen verloren;wie konnten Pinsel und Farbe dergleichen hervorbringen?Sieht man nicht den Busen athmen? die

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