Eine poetische Phantasie
In fünf Kaprizzen.
Aus
alten Urkunden mit neuen Anmerkungen.
Terruit urbem, terruit Gentes.
Horat.
Wien und Leipzig,
in der Buchhandlung der Gelehrten, 1786.
Seit den uralten Zeiten des furchtbaren Tearkon[1],der die Säulen Herkules ausBescheidenheit nicht überschrit, fandsich, unter Eurer Majestät preiswürdigsten Ahnenzum Wohlseyn der Erde durch eine besondere Gnadedes Himmels kein Eroberer. Eure Majestättreten mit einer so rühmlichen Menschenliebe, undmit einer so edlen Mäßigung in die Fußstapfen ihrerfriedsamen Ahnen, daß Sie vielleicht der einzigeKönig sind, der den Titel eines Helden für denliebenswürdigen Namen eines Vaters des Vaterlands,und eines Menschenfreundes verkaufet.Eure Majestät sind also der einzige Monarch, demich mein Buch schiksam zueignen kann, denn jedemandern würde es eine Satyre scheinen, wie jeneZueignungsschrift eines Franzosen dem römischenPabste[2].
Wenn Eure Majestät, wie einige Reisende behaupten,auch ein Beschützer der deutschen Musensind, welches die Fürsten selten wagen; sosind Sie ein wahrer Antipode von unserm gelehrtenEuropa, und ein Antipode aller Könige. Ichsage nicht mehr zum Ruhme Eurer Majestät, weilausserordentliche Tugenden durch Stillschweigenam besten gepriesen werden. Nur gewöhnlicheKönige werden gelobt, damit sie einige Tage längerleben.
Ich lege Eurer Majestät mit warmer Empfindungder hohen Bewunderung mein Buch ehrerbietigzu Füssen, weil einige Meere und einige tausendMeilen mir das Vergnügen rauben, mich ihremThrone persönlich zu nähern u. s. w.
Die Musik ist die Mutter der Poesie; alle Eigenschaftenerbt also diese liebenswürdige Tochter.Warum sollte sie die sinnreichste Gabe die Phantasie entbehren?Sollte die Dichtkunst nicht eben die harmonischenFreyheiten geniessen, da sich der spielende Tonkünstlerfrey seiner willkührlichen Laune überläßt, und in ein bewunderungwürdigesChaos aller Tonarten sich verwickelt?Von einem taumelnden Wirbeltanze hüpft er zu einermelancholischen Arie; ehe er sie noch zu Stande bringt,schleicht er tändelnd zum neckischen Rundliedchen, artetrasch in ein heulendes Ungewitter aus, und donnertblutige Schlachten. Diese zerstreute Begeisterung ist oftden horchenden Ohren ein seltnes unerwartetes Vergnügen,und man hört manchen Künstler lieber phantasiren,als ein regelmäßiges Concert spielen; die Ursach ist, weilder kühne, und mannichfaltige Wechsel der Gedanken,und die verwägnen Uebergänge die Zuhörer reizen, hinreissen,erschüttern.
Lasset uns versuchen, welchen Eindruck eine poetischePhantasie auf das menschliche Herz machen wird.Vielleicht bringt die scheinbare Unordnung, die doch heimlichOrdnung und Verbindung hat, das neue Gewühlgedräng