F. M. Dostojewski: Sämtliche Werke
Unter Mitarbeiterschaft von Dmitri Mereschkowski
herausgegeben von Moeller van den Bruck
Übertragen von E. K. Rahsin
Erste Abteilung: Erster und zweiter Band
F. M. Dostojewski
(Schuld und Sühne)
Roman
R. Piper & Co. Verlag, München
R. Piper & Co. Verlag, München, 1922
23.–35. Tausend
Druck: Otto Regel, G. m. b. H., Leipzig.
Buchausstattung von Paul Renner.
Copyright 1922 by R. Piper & Co.,
Verlag in München.
Wir brauchen in Deutschland die voraussetzungslose russischeGeistigkeit. Wir brauchen sie als ein Gegengewichtgegen ein Westlertum, dessen Einflüssen auch wir ausgesetztwaren, wie Rußland ihnen ausgesetzt gewesen ist, und dasauch uns dahin gebracht hat, wohin wir heute gebracht sind.Nachdem wir solange zum Westen hinübergesehen haben,bis wir in Abhängigkeit von ihm gerieten, sehen wir jetztnach dem Osten hinüber – und suchen die Unabhängigkeit.Aber wir werden sie nicht im Osten, wir werden sie immernur bei uns selbst finden.
Der Blick nach dem Osten erweitert unsern Blick um dieHälfte der Welt. Die Fragen des Ostens sind für uns zunächsteine Frage der geistigen Universalität. Und wenn wiruns mit ihnen beschäftigen, dann handeln wir nur im Geisteunserer besten Überlieferung. Aber diese Fragen sind nochmehr. Sie sind zugleich eine Frage der geistigen Souveränität.Nachdem wir sie im neunzehnten Jahrhundert an denWesten verloren haben, wollen wir sie im zwanzigsten Jahrhundertfür Deutschland zurückerringen.
Es wird immer zu unseren Unbegreiflichkeiten gehören,daß wir es dahin kommen ließen, daß wir uns dem Westenbis zu dieser völligen Selbstvergessenheit hingaben. Es istum so unbegreiflicher, als wir im Gegensatze zu Rußland,das sich seine geistigen Werte erst erringen mußte, die unserenim festen Besitze hielten, und als unter ihnen nichtwenige waren, die wir noch nicht einmal vor der eigenenNation aufgeschlossen und ihr mitgeteilt hatten. Doch wirbevorzugten die fremden Werte. Heute sehen wir die Wirkung.Und wir leben unter den Folgen.
Wir haben im Verlaufe unserer langen Bildungsgeschichteschon manches fremde und ferne Bildungsgebiet einbezogen,ob es das griechische war, oder das italienische. Aber nochnie wurde eines so gefährlich, wie das westliche geworden ist.Wir werden uns hüten müssen, daß nicht auch der Osten zueiner Gefahr wird.
Es ist kein anderes Verhältnis zu ihm möglich als das desvölligen Vertrautseins, aber auch des sicheren Abstandes.Wenn wir unsere geistige Souveränität, und aus ihr folgendunsere politische Souveränität, wiedergewonnen haben, dannwird auch Rußland nicht mehr und nicht weniger für unssein, als eines jener großen Bildungsgebiete, die uns reichermachten, aber auch selbständiger.
Bis dahin teilen wir mit Rußland, aus verschiedenenGründen, das gleiche Schicksal.
M. v. d. B.