Ein Roman
nach neugriechischen Volkssagen.
Von
Theodor Hildebrand.
Zweiter Theil.
Leipzig, 1828.
bei Christian Ernst Kollmann.
Der Knall der beiden Pistolenschüsse halltedurch das ganze Schloß wider, und verbreitetedarin sogleich einen unbeschreiblichenSchrecken. Die Knechte auf der Meierei,von denen einige im Schlosse schliefen, warennicht zu Bett gegangen, weil sie am andernMorgen Getraide nach Prag fahrensollten, und mit den dazu nöthigen Vorbereitungenbeschäftigt waren. Sie verbreitetensich schnell durch mehrere Zimmer, währendeines der Mädchen die Hausthür öffneteund aus der Nachbarschaft Hülfe herbeirief.
Die Oberstin, welche vor Mattigkeit eingeschlafenwar, fuhr schon bei dem ersten Pistolenschusseempor, hielt ihn aber für eingewöhnliches Geräusch, das ihr nur im Traumestärker vorgekommen sei. Als jedoch balddarauf der zweite Schuß erschallte, glaubtesie, daß Räuber im Schlosse wären, und daßder brave Werner im Kampfe mit ihnen begriffensei. Nach diesem ersten Gedankenwar der zweite ihr Sohn. Sie hatte so vielMuth, schnell aufzustehen, und ohne ihre eigeneGefahr zu beachten, eilte sie in dasZimmer, wo der Gegenstand ihrer zärtlichenSorgfalt ruhte.
Welches schreckliche Schauspiel bot sichihren Augen dar, als sie, beim Schein desMondes und einer spärlich brennenden Nachtlampe,zwei blutende Körper auf dem Fußbodenausgestreckt sahe, und in ihnen Wernerund die Fremde erkannte. Mit einemSchrei des Entsetzens eilte sie dann nach demBette des Kindes, das sie in ihre Armenahm; aber vergebens suchte sie den kleinenWilhelm aus dem Schlafe zu wecken, in dener versunken zu sein schien: sein Leben warentflohen. Diese schmerzliche Gewißheit vollendeteHelenens Verzweiflung, und ohnmächtigfiel sie neben den beiden Leichnamen aufden Fußboden nieder.
Kurze Zeit darauf kamen die Knechteund Dienstmädchen ebenfalls in dieses Zimmerdes Schreckens. Sie sahen ein Fensteroffen stehen, und an demselben eine seideneStrickleiter befestigt; sie fanden Werner undLodoiska in ihrem Blute gebadet und ohneein Zeichen des Lebens; weiter hin erblicktensie die Oberstin, welche noch athmete, nebendem Leichnam ihres Kindes. Dieser fürchterlicheAnblick mußte alle Anwesenden natürlichmit Schauder erfüllen. Die Mörder konntennicht weit sein; aber vielleicht hatten sieschon mit Hülfe der Strickleiter die Fluchtergriffen; man beeilte sich eines Theils, derOberstin beizustehen, andern Theils, die schonangefangenen Nachsuchungen im Schlosse fortzusetzen.—
Die Anzahl der zur Hülfe herbeieilendenNachbarn wurde immer größer; aber auchdie strengsten Nachforschungen blieben fruchtlos.Im Schlosse selbst fand man keineSpur von den Räubern, und bei der Durchsuchungder ganzen Gegend war man nichtglücklicher.
Gegen Morgen kam Helene wieder zu