Produced by Mike Pullen and Delphine Lettau.
This Etext is in German.
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von THEODOR STORM
Novelle (1873)
Es war sehr still in dem großen Hause; aber selbst auf dem Flur spürte manden Duft von frischen Blumensträußen. Aus einer Flügeltür, der breiten,in das Oberhaus hinaufführenden Treppe gegenüber, trat eine alte, saubergekleidete Dienerin. Mit einer feierlichen Selbstzufriedenheit drücktesie hinter sich die Tür ins Schloß und ließ dann ihre grauen Augen an denWänden entlangstreifen, als wolle sie auch hier jedes Stäubchen noch einerletzten Musterung unterziehen; aber sie nickte beifällig und warf danneinen Blick auf die alte englische Hausuhr, deren Glockenspiel eben zumzweitenmal seinen Satz abgespielt hatte.
"Schon halb!" murmelte die Alte, "und um acht, so schrieb der Herr
Professor, wollten die Herrschaften da sein!"
Hierauf griff sie in ihrer Tasche nach einem großen Schlüsselbund undverschwand dann in den hinteren Räumen des Hauses.—Und wieder wurde esstill; nur der Perpendikelschlag der Uhr tönte durch den geräumigen Flurund in das Treppenhaus hinauf; durch das Fenster über der Haustür fielnoch ein Strahl der Abendsonne und blinkte auf den drei vergoldetenKnöpfen, welche das Uhrgehäuse krönten.
Dann kamen von oben herab kleine leichte Schritte, und ein etwazehnjähriges Mädchen erschien auf dem Treppenabsatz. Auch sie war frischund festlich angetan; das rot und weiß gestreifte Kleid stand ihr gut zudem bräunlichen Gesichtchen und den glänzend schwarzen Haarflechten. Sielegte den Arm auf das Geländer und das Köpfchen auf den Arm und ließ sichso langsam hinabgleiten, während ihre dunkeln Augen träumerisch auf diegegenüberliegende Zimmertür gerichtet waren.
Einen Augenblick stand sie horchend auf dem Flur; dann drückte sie leisedie Tür des Zimmers auf und schlüpfte durch die schweren Vorhänge hinein.—Es war schon dämmerig hier, denn die beiden Fenster des tiefen Raumesgingen auf eine von hohen Häusern eingeengte Straße; nur seitwärts überdem Sofa leuchtete wie Silber ein venezianischer Spiegel auf derdunkelgrünen Sammettapete. In dieser Einsamkeit schien er nur dazubestimmt, das Bild eines frischen Rosenstraußes zurückzugeben, der ineiner Marmorvase auf dem Sofatische stand. Bald aber erschien in seinemRahmen auch das dunkle Kinderköpfchen. Auf den Zehen war die Kleine überden weichen Fußteppich herangeschlichen; und schon griffen die schlankenFinger hastig zwischen die Stengel der Blumen, während ihre Augen nach derTür zurückflogen. Endlich war es ihr gelungen, eine halberschlosseneMoosrose aus dem Strauße zu lösen; aber sie hatte bei ihrer Arbeit derDornen nicht geachtet, und ein roter Blutstropfen rieselte über ihren Arm.Rasch—denn er wäre fast in das Muster der kostbaren Tischdeckegefallen—sog sie ihn mit ihren Lippen auf; dann, leise, wie sie gekommen,die geraubte Rose in der Hand, schlüpfte sie wieder durch die Türvorhängeauf den Flur hinaus. Nachdem sie auch hier noch einmal gehorcht hatte,flog sie die Treppe wieder hinauf, die sie zuvor herabgekommen war, unddroben weiter einen Korridor entlang, bis an die letzte Tür desselben.Einen Blick noch warf sie durch eines der Fenster, vor dem im Abendscheindie Schwalben kreuzten;