Von
Heinrich Heine
Nach Adolph Strodtmanns Handexemplar
berichtigt und herausgegeben
von
Otto F. Lachmann
Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.
[5]Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste undUniversität, gehört dem Könige von Hannover, und enthält999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eineSternwarte, einen Karcer, eine Bibliothek und einen Ratskeller,wo das Bier sehr gut ist. Der vorbeifließende Bach heißt »dieLeine«, und dient des Sommers zum Baden; das Wasser istsehr kalt und an einigen Orten so breit, daß Lüder wirklicheinen großen Anlauf nehmen mußte, als er hinüber sprang.Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wennman sie mit dem Rücken ansieht. Sie muß schon sehr langestehen, denn ich erinnere mich, als ich vor fünf Jahren dortimmatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, hatte sie schondasselbe graue, altkluge Ansehen, und war schon vollständig eingerichtetmit Schnurren, Pudeln, Dissertationen, Thédansants,Wäscherinnen, Kompendien, Taubenbraten, Guelfenorden, Promotionskutschen,Pfeifenköpfen, Hofräten, Justizräten, Relegationsräten,Profaxen und anderen Faxen. Einige behauptensogar, die Stadt sei zur Zeit der Völkerwanderung erbaut worden,jeder deutsche Stamm habe damals ein ungebundenesExemplar seiner Mitglieder darin zurückgelassen, und davonstammten alle die Vandalen, Friesen, Schwaben, Teutonen,Sachsen, Thüringer u. s. w., die noch heutzutage in Göttingen,hordenweis und geschieden durch Farben der Mützen und derPfeifenquäste, über die Weenderstraße einherziehen, auf den blutigenWahlstätten der Rasenmühle, des Ritschenkruges undBovdens sich ewig unter einander herumschlagen, in Sitten und[6]Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völkerwanderung dahinleben,und teils durch ihre Duces, welche Haupthähne heißen,teils durch ihr uraltes Gesetzbuch, welches Komment heißt undin den ...