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Fischers Bibliothekzeitgenössischer Romane

Bahnwärter Thiel

von
Gerhart Hauptmann



S. Fischer, Verlag, Berlin

Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, vorbehalten

Inhalt

Bahnwärter Thiel7
Der Apostel71
 
7–8

Bahnwärter Thiel

 
9

1

Allsonntäglich saß der Bahnwärter Thiel in derKirche zu Neu-Zittau, ausgenommen die Tage, andenen er Dienst hatte oder krank war und zu Bettelag. Im Verlaufe von zehn Jahren war er zweimalkrank gewesen; das eine Mal infolge eines vom Tendereiner Maschine während des Vorbeifahrens herabgefallenenStückes Kohle, welches ihn getroffen undmit zerschmettertem Bein in den Bahngraben geschleuderthatte; das andere Mal einer Weinflaschewegen, die aus dem vorüberrasenden Schnellzugemitten auf seine Brust geflogen war. Außer diesenbeiden Unglücksfällen hatte nichts vermocht, ihn, sobalder frei war, von der Kirche fernzuhalten.

Die ersten fünf Jahre hatte er den Weg von Schön-Schornstein,einer Kolonie an der Spree, herübernach Neu-Zittau allein machen müssen. Eines schönenTages war er dann in Begleitung eines schmächtigen10und kränklich aussehenden Frauenzimmers erschienen,die, wie die Leute meinten, zu seiner herkulischenGestalt wenig gepaßt hatte. Und wiederum einesschönen Sonntag Nachmittags reichte er dieser selbenPerson am Altare der Kirche feierlich die Hand zumBunde fürs Leben. Zwei Jahre nun saß das junge,zarte Weib ihm zur Seite in der Kirchenbank; zweiJahre blickte ihr hohlwangiges, feines Gesicht nebenseinem vom Wetter gebräunten in das uralte Gesangbuch–; und plötzlich saß der Bahnwärter wiederallein wie zuvor.

An einem der vorangegangenen Wochentage hattedie Sterbeglocke geläutet: das war das Ganze.

An dem Wärter hatte man, wie die Leute versicherten,kaum eine Veränderung wahrgenommen.Die Knöpfe seiner sauberen Sonntagsuniform warenso blank geputzt als je zuvor, seine roten Haare sowohl geölt und militärisch gescheitelt wie immer,nur daß er den breiten, behaarten Nacken ein weniggesenkt trug und noch eifriger der Predigt lauschteoder sang, als er es früher getan hatte. Es war dieallgemeine Ansicht, daß ihm der Tod seiner Frau nichtsehr nahe gegangen sei; und diese Ansicht erhielt eineBekräftigung, als sich Thiel nach Verlauf eines Jahres11zum zweiten Male, und zwar mit einem dicken undstarken Frauenzimmer, einer Kuhmagd aus Alte-Grund,verheiratete.

Auch der Pastor gestattete sich, als Thiel die Trauunganmelden kam, ein

...

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