This Etext is in German.
This book content was graciously contributed by the Gutenberg Projekt-DE.
That project is reachable at the web site http://gutenberg.spiegel.de/.
Dieses Buch wurde uns freundlicherweise vom "Gutenberg Projekt-DE"zur Verfügung gestellt. Das Projekt ist unter der Internet-Adressehttp://gutenberg.spiegel.de/ erreichbar.
Der Spiegel des Cyprianus
Theodor Storm
Das Grafenschloß—eigentlich war es eine Burg—lag frei auf der Höhe;uralte Föhren und Eichen ragten mit ihren Wipfeln aus der Tiefe; und überihnen und den Wäldem und Wiesen, die sich unterhalb des Bergesausbreiteten, lag der Sonnenglanz des Frühlings. Drinnen aber walteteTrauer; denn das einzige Söhnlein des Grafen war von unerklärlichemSiechtum befallen; und die vornehmsten Ärzte, die herbeigerufen wurden,vermochten den Ursprung des Übels nicht zu erkennen.
Im verhangenen Gemache lag der Knabe schlafend mit blutlosem Antlitz.Zwei Frauen saßen je zu einer Seite des Bettes, mit dem gespannten Blickder Sorge ihn betrachtend; die eine alt, in der Kleidung einer vornehmerenDienerin, die andere, unverkennbar die Dame des Hauses, fast jung noch,aber die Spuren vergangenen Leides in dem blassen, gütevollen Angesicht.
In den schönsten Tagen ihrer Jugend hatte der Graf um sie, das wenigbegüterte Fräulein, geworben; aber da schon nichts mehr fehlte als dasausgesprochene Wort, hatte er sich abgewandt. Eine reiche, schöne Dame,die dem armen Fräulein dem stattlichen Gemahl und dessen Herrschaftneidete, hatte den leichtblütigen Mann in ihrem Liebesnetz verstrickt; undwährend diese als Herrin in das Grafenschloß einzog, blieb die Verlassenein dem Witwenstübchen ihrer Mutter.
Aber das Glück der jungen Gräfin hatte keinen Bestand. Als sie nachJahresfrist dem kleinen Kuno das Leben gegeben, wurde sie von einem bösenKindbettfieber hingerafft; und als wiederum ein Jahr vorbei war, da wußteder Graf für sein verwaistes Söhnlein keine bessere Mutterhand als die,welche er einst verschmäht hatte. Und sie mit ihrem stillen Herzen vergabihm alle Kränkung und wurde jetzt sein Weib.
So saß sie nun sorgend und wachend bei dem Kind ihrer einstigen
Nebenbuhlerin.
"Er schläft jetzt ruhig", sagte die Alte; "Frau Gräfin sollten auch einwenig ruhen."
"Nicht doch, Amme", erwiderte die sanfte Frau; "ich bedarf's noch nicht;ich sitze hier ja gut in meinem weichen Sessel."
"Aber die vielen Nächte durch! Es ist doch nimmer ein Schlaf, wenn derMensch nicht aus den Kleidern kommt." Und nach einer Weile setzte siehinzu: "Es hat nicht immer solche Stiefmütter gegeben hier im Schloß."
"Du mußt mich nicht so loben, Amme!"
"Kennt Ihr denn nicht die Geschichte von dem Spiegel des Cyprianus?" sagtewiederum die Alte; und als die Gräfin es verneinte, fuhr sie fort: "Sowill ich sie Euch erzählen; es hilft die Gedanken zerstreuen. Und sehtnur, wie das Kind schläft, der Atem geht ganz ruhig aus dem kleinen Mund!—Nehmt noch dies Kissen unterm Kreuz, und nun die Füßchen auf den Schemelhier!—Und nun wartet ein Weilchen, daß ich mich recht besinne."
Dann, als die Gräfin sich in die Kissen gesetzt und ihr freundlichzugenickt hatte, begann die erfahrene Dienerin des Hauses ihre Erzählung:
"Vor über hundert Jahren hat einmal eine Gräfin in diesem Schloß gelebt;die ist von allen Leuten nur die gute Gräfin genannt worden. Der Name hatauch rechtgehabt; denn sie ist demütig in ihrem Herzen gewesen und hat dieArmen und Niedrigen nicht gering geachtet. Aber eine fro