Kreisende Storchfamilie.
Ein Beitrag
zur
Systematik der Flugtechnik.
Auf Grund
zahlreicher von O. und G. Lilienthal ausgeführter Versuche
bearbeitet von
Otto Lilienthal,
Ingenieur und Maschinenfabrikant in Berlin.
Mit 80 Holzschnitten, 8 lithographierten Tafeln und 1 Titelbild in Farbendruck.
Berlin 1889.
R. Gaertners Verlagsbuchhandlung
Hermann Heyfelder.
SW. Schönebergerstraße 26.
Alle Rechte vorbehalten.
Die Kenntnis der mechanischen Vorgänge beim Vogelflugesteht gegenwärtig noch auf einer Stufe, welche demjetzigen allgemeinen Standpunkt der Wissenschaft offenbarnicht entspricht.
Es scheint, als ob die Forschung auf dem Gebietedes aktiven Fliegens durch ungünstige Umstände in Bahnengelenkt worden sei, welche fast resultatlos verlaufen, indemdie Ergebnisse dieser Forschung die wirkliche Förderungund Verbreitung einer positiven Kenntnis der Grundlagender Fliegekunst bei weitem nicht in dem Maße herbeiführten,als es wünschenswert wäre. Wenigstens ist unserWissen über die Gesetze des Luftwiderstandes noch somangelhaft geblieben, daß es der rechnungsmäßigen Behandlungdes Fliegeproblems unbedingt an den erforderlichenUnterlagen fehlt.
Um nun einen Beitrag zu liefern, die Eigentümlichkeitender Luftwiderstandserscheinungen näher kennen zulernen, und dadurch zur weiteren Forschung in der Ergründungder für die Flugtechnik wichtigsten Fundamentalsätzeanzuregen, veröffentliche ich hiermit eine Reihe vonVersuchen und an diese geknüpfter Betrachtungen, welchevon mir gemeinschaftlich mit meinem Bruder Gustav Lilienthalangestellt wurden.
Diese Versuche, über einen Zeitraum von 23 Jahrensich erstreckend, konnten jetzt zu einem gewissen Abschlußgebracht werden, indem durch die Aneinanderreihungder Ergebnisse ein geschlossener Gedankengangsich herstellen ließ, welcher die Vorgänge beim Vogelflugeeiner Zergliederung unterwirft, und dadurch eineErklärung derselben, wenn auch nicht erschöpfend behandelt,so doch anbahnen hilft.
Ohne daher der Anmaßung Raum zu geben, daßdas in diesem Werke Gebotene für eine endgültige Theoriedes Vogelfluges gehalten werden soll, hoffe ich doch, daßfür jedermann genug des Anregenden darin sich bietenmöge, um das schon so verbreitete Interesse für die Kunstdes freien Fliegens noch mehr zu heben. Besonders gehtaber mein Wunsch dahin, daß eine große Zahl von FachleutenVeranlassung nehmen möchte, das Gebotene genauzu prüfen und womöglich durch parallele Versuche zurLäuterung des bereits Gefundenen beizutragen.
Ich habe die Absicht gehabt, nicht nur für Fachleute,sondern für jeden Gebildeten ein Werk zu schaffen, dessenDurcharbeitung die Überzeugung verbreiten soll, daß wirklichkein Naturgesetz vorhanden ist, welches wie ein unüberwindlicherRiegel sich der Lösung des Fliegeproblemsvorschiebt. Ich habe