IRMELA

 

Eine
Geschichte aus alter Zeit

 

von

 

Heinrich Steinhausen.

 

Achtzehnte Auflage.

 

Titelbild
von W. Steinhausen.

 

Leipzig 1899.

Verlag von E. Ungleich.

 

 

 

 

 

 

Eingang.

 

ie heitre Sonne des Pfingstsonntages im Jahredes HErrn 13.. sank hinter die rebenbepflanzten Berge, welche von Westen her dasliebliche Thal einschließen, in dem die stattlichen Gebäudeder wohlbekannten Cisterzienser-Abtei Maulbronn sich erheben. Eben warder Vespergottesdienst mit dem Magnificat beschlossen, das heute nichtnur von den Brüdern im Chor, sondern auch von dem zahlreichversammelten Volke im vorderen Theile der Kirche gesungen worden war.Nur Bruder Diether ließ das Örglein noch nicht schweigen, vordem er saß, und drückte die breiten Tasten durchkräftige Schläge nieder, daß sich langhallende Tönehören ließen, während das Gotteshaus sich leerte.

»Wie, schon All’ hinaus?« sagte er, als er, nach kurzerWeile sich umwendend, den ganzen Raum unten verlassen fand.»Sie haben halt Eil’ heut,« setzte er hinzu, »das Volk willdes milden Maien genießen unter der Linde, und dieConfratres sind dem Refectorio am Pfingstabend auch nichtfeind. So wollen wir denn2des Tönens genug sein lassen, unsmit dem Paternoster segnen und von hinnen gehn!«

Während er bedächtig die Treppe herniederstieg, welche vomOrgelchor in’s Schiff führte, schritten die Mönche bereitsnach Gefallen einzeln oder zu mehreren gesellt demKlostergarten zu oder wohin sonst einem Jeden sein Sinnstand; denn nach Gewohnheit ward St. Bernhards Regel heutnicht eben ängstlich befolgt und Abt Rothad war zu keinerZeit der Mann, von dem ein straffes Anziehen derselben zubesorgen war. So war es denn auch bald im Kreuzgang einsam,der sich an die Kirche gegen Mitternacht anschließt und imViereck einen Friedhof umgibt, der doch schon damals mehreinem mit Bäumen und Gesträuch wohlbepflanzten Gärtleinglich.

Als Diether aus der nördlichen niederen Kirchenpforte indie kunstreich gewölbten Gänge trat, däuchte ihn dieabendliche Stille, die ihn so mailich und freundlichanwehte, keineswegs unwillkommen, sondern wie er langsamdaherschritt und immer wieder zwischen den Pfeilern stillstehend zum blauklaren Himmel emporblickte und vor sich aufdie Pracht der Blüthen im frischen Grün, da war’s, alsleuchtete die Lenzwonne auch aus seinen dunklen Augen, sofroh schauten sie darein, und als fühlte seine Brust mit derJugend des Jahres auch die Jugend des Herzens wieder, sofreudig und kräftig hob sie sich. Dicht neben ihm aus demGebüsch erscholl die Stimme einer Nachtigall. Er bliebstehen und lauschte. Ihm schien’s, als wäre das die Seeledieses Maiabends, die wollte all’ ihre reine und himmlischeFreude ihm mit zu empfinden geben. Sie schwieg. Aber alsnach kurzer Weile ihre Tön

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