1921
S. Fischer / Verlag / Berlin
1.—5. Auflage
Alle Rechte, besonders das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright 1920 by S. Fischer, Verlag, Berlin
Dieses Buch, das auf Grund täglicher Aufzeichnungenentstand, enthält Enttäuschungen als seinWesen. Es ist ein Tagebuch der Enttäuschungen, ichverhehle es nicht. Gerade sie sind das einzig wertvolledaran. Denn an allen Erlebnissen während dieserJahre, an allen Szenen, allen Ereignissen, allen Episodenhat sich die Beobachtung ergeben, daß imwachsenden Umfang die besten Hoffnungen, diereinsten Zugehörigkeiten ihre dramatische Zerstörungnach sich zogen. Zu sehen, wie sie immer sehr buchstäblichzuschanden kommen mußten, versetzte micherst in eine dumpfe, herabgestimmte Unruhe, undnur allmählich entdeckte ich, daß sich in allem diekleine wie die große Höllenmaschine menschlicherNiedrigkeit gleichsam eingebaut hielt, überall, aufdieselbe Weise und mit derselben Wirkung jede edle,jede vernünftige Absicht, jede Harmonie im Keimvernichtete. Diese Gefolgschaft, dies enge Schritthaltender Bösen — jeder Zufälligkeit bar — zeigtsich vom Anekdotischen bis zur Entladung so konform,daß es die Schicksale des einzelnen zur genauestenReplik der Weltschicksale prägt.
Am 1. Februar 1917 kam ich gegen Abend definitivnach Bern. Im Zug — am Fenster — schlief ichzwischen Zürich und Baden auf einige Sekunden ein.Dabei rückten sich Bilder aus meiner Wohnung,aber um ein Drittel vergrößert — die sich also selbstvergrößert hatten —, selbst an einer Wand zurecht. —
Trotz dieser so unvermittelt aufblitzenden Visionwurde die Mutlosigkeit, gegen die ich anzukämpfenhatte, immer drückender, und geradezu trostlos gestaltetesich meine Einfahrt in die Bahnhofhalle. Esgoß so recht von innen heraus, wie nur der BernerHimmel zu gießen versteht. So begibt man sich wohlins Gefängnis, wie ich in das Haus, um dessen anheimelnderalten Stiege willen ich im zweiten Stockzwei kleine Zimmer mit einem Alkoven gemietet hatte.Übrigens waren sie noch nicht frei, und indessenwurde mir ein großes niedriges angewiesen, das sofortmeine Abneigung erregte: bis auf einen gewaltigenTisch von wahrhaft tröstlichem Umfang. Er standmitten in der Stube, ganz auf sich beruhend:
Sieh mein geräumiges Rund, und wie gefällig esist! Sahst du ein weiteres je?
Bürde nur füglich mir auf, was immer du willst.Ich schaffe noch Platz dir. Na also!
So redete er, halb in Hexametern, halb wie einealte Kindsfrau zu mir, war immer optimistisch undrichtete mich auf.
Das Münster aber, das so gut anhebt und so schlechtverläuft, beschattet und beherrscht den Platz, unddie Aussicht hart vor meinen Fenstern ist durch ihnversperrt. Auch mein Herz schlägt hinter Riegeln.Ich bin nicht mit den Illusionen hergekommen wiedas erstemal.
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4. FEBRUAR. Kalte regnerische Tage, unfroh wie die