Anmerkungen zur Transkription:
Schreibweise und Interpunktion des Originaltextes wurdenübernommen.
von
Immanuel Kant
11. bis 15. Tausend
Im Insel-Verlag zu Leipzig
Die verschiedenen Empfindungen des Vergnügens oderdes Verdrusses beruhen nicht so sehr auf der Beschaffenheitder äußeren Dinge, die sie erregen, als auf demjedem Menschen eigenen Gefühle, dadurch mit Lust oderUnlust gerührt zu werden. Daher kommen die Freudeneiniger Menschen, woran andre einen Ekel haben, die verliebteLeidenschaft, die öfters jedermann ein Rätsel ist,oder auch der lebhafte Widerwille, den der eine woranempfindet, was dem andern völlig gleichgültig ist. DasFeld der Beobachtungen dieser Besonderheiten der menschlichenNatur erstreckt sich sehr weit und verbirgt annocheinen reichen Vorrat zu Entdeckungen, die ebenso anmutigals lehrreich sind. Ich werfe für jetzt meinen Blick nurauf einige Stellen, die sich in diesem Bezirke besondersauszunehmen scheinen, und auch auf diese mehr das Augeeines Beobachters als des Philosophen.
Weil ein Mensch sich nur insofern glücklich findet, als ereine Neigung befriedigt, so ist das Gefühl, welches ihnfähig macht, große Vergnügen zu genießen, ohne dazu ausnehmendeTalente zu bedürfen, gewiß nicht eine Kleinigkeit.Wohlbeleibte Personen, deren geistreichster Autorihr Koch ist und deren Werke von feinem Geschmack sichin ihrem Keller befinden, werden bei gemeinen Zoten undeinem plumpen Scherz in ebenso lebhafte Freude geraten,als diejenige ist, worauf Personen in edeler Empfindungso stolz tun. Ein bequemer Mann, der die Vorlesung der Bücher liebt, weil es sich sehr wohl dabei einschlafen läßt,der Kaufmann, dem alle Vergnügen läppisch scheinen,dasjenige ausgenommen, was ein kluger Mann genießt,wenn er seinen Handlungsvorteil überschlägt, derjenige,der das andre Geschlecht nur insofern liebt, als er es zuden genießbaren Sachen zählt, der Liebhaber der Jagd,er mag nun Fliegen jagen, wie Domitian, oder wilde Tiere,wie A . ., alle diese haben ein Gefühl, welches sie fähigmacht, Vergnügen nach ihrer Art zu genießen, ohne daßsie andere beneiden dürfen oder auch von andern sich einenBegriff machen können; allein ich wende für jetzt daraufkeine Aufmerksamkeit. Es gibt noch ein Gefühl von feinererArt, welches entweder darum so genannt wird, weilman es länger ohne Sättigung und Erschöpfung genießenkann, oder weil es sozusagen eine Reizbarkeit der Seelevoraussetzt, die diese zugleich zu tugendhaften Regungengeschickt macht, oder weil es Talente und Verstandesvorzügeanzeigt, da im Gegenteil jene bei völliger Gedankenlosigkeitstattfinden können. Dieses Gefühl ist es, wovonich eine Seite betrachten will. Doch schließe ich hievondie Neigung aus, welche auf hohe Verstandeseinsichtengeheftet ist, und den Reiz, dessen ein Kepler fähig war,wenn er, wie Bayle berichtet, eine seiner Erfindungennicht um ein Fürstentum würde verkauft haben. DieseEmpfindung ist gar zu fein, als daß sie