Titel

DIE NEUE REIHE
BAND 19

1.—5.TAUSEND

HEINRICH MANN
DIE EHRGEIZIGE
NOVELLE

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1920

MÜNCHEN
ROLAND-VERLAG DR. ALBERT MUNDT

Daß er der Frau des Gemeindesekretärs dieschöne Alba Nardini vorzog, mußte der jungeTenor Nello Gennari mit dem Leben büßen. FrauCamuzzi hatte geschickt gehandelt; niemandahnte, sie sei es gewesen, die Alba auf die Fraudes Schneiders eifersüchtig gemacht und sie in solchenWahnsinn getrieben hatte, daß sie den Geliebtenund sich erstach. Ungefährdet hätte sieweiterleben können. Vier Wochen später aber verschwandsie aus der kleinen Stadt.

Von Florenz schrieb sie ihrem Gatten, daß sie denGedanken nicht länger habe ertragen können, siesolle an seiner Seite altern. Denn er habe keinenEhrgeiz. Statt sich in die Politik zu werfen, zuhandeln, zu steigen, statt seiner Frau, die nachihnen lechze, die Höhen der Welt zu erschließen,halte er sie nieder, lasse sie verkümmern imDunstkreis seiner trägen Skepsis; und die Machtin der Stadt behalte ein Marktheld wie der AdvokatBelotti. Noch sei sie jung; und so habe sie dennauf eigene Verantwortung den Schritt getan, dener sie nicht habe führen wollen. Als Geliebte desberühmten Künstlers Cavaliere Giordano trete siein die große Welt ein, der sie sich gewachsenfühle. Mit vollem Bewußtsein habe sie sich ihrSchicksal geschaffen. Camuzzi solle nicht versuchen,sie zu hindern, es wäre unnütz.

Die Wahrheit war, daß sie sich dem alten Giordanonicht aus Ehrgeiz hingegeben hatte, sondern imDienst ihrer Rache an Nello Gennari, und daß siees schon getan hatte, als er in der kleinen Stadtweilte. Ein ahnungsloses Wort des alten Sängershätte das Mißverständnis zerreißen können, demder junge erliegen sollte. Darum behielt Frau Camuzziihn bei sich im Zimmer, bis endlich dieganze Operntruppe von dannen war und Nello sichim Hause des Schneiders verborgen hatte, unwissend,daß er nicht bestimmt sei, mit Alba zufliehen, vielmehr mit ihr zu sterben . . . Nunaber waren sie fort, die Komödianten. Die kleineStadt, die dank ihnen kurze Zeit ein gesteigertesLebensgefühl gekannt hatte, fiel zurück in um sograuere Nüchternheit, und Frau Camuzzi hinterihren verschlossenen Fensterläden litt die Qualender lebendig Begrabenen. Sie hatte sich gezeigt,wer sie war und was sie vermochte. Dort oben inder steinigen Erde des Friedhofes lagen zwei,deren Verhängnis, allen unbekannt, sie gewesenwar. Im Bewußtsein ihrer entsetzlichen Macht saßsie stundenlang reglos auf ihrem Bett, die Augenin den großen schwarzen Augen, die aus demSpiegel starrten. Plötzlich aber drückte sie sie insKissen, krümmte sich ganz zusammen und erstickteihr Stöhnen. Denn ihre Macht war Ohnmachtgewesen: sie hatte nicht machen können,daß Nello sie liebte! Jene beiden verhöhnten sienoch aus dem Grabe. Nachts hörte sie ihre Stimmen;sie sprachen von Umarmungen, die sie ihrstahlen. „Nello, ich töte dich!“ — „Das hast dus

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