Novellen in Gelb
Band 3

Heinrich Mann
Die Tote
und andere Novellen

O. C. Recht Verlag / München

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright 1921 by
O. C. Rechtverlag, München

Titelzeichnung: Ottomar Starke

Die Tote

I.

Als am Ende des Sees der Zug hielt, stiegLeo Cromer, ohne die Gedanken an diegehabte Beratung abzubrechen, aus, ging indem Mondlicht um den Schuppen herum, dereine Bahnhofshalle bedeutete, und betrat dendunklen Baumgang. Einmal erhob er den Kopf;hinter den Stämmen das Wasser lag weiß wieGewebe des Lichts, die Ufer schienen unwirklich,die Stille ein Geschrei von Geistern . . . Dieswar der dichtere Schatten seines eigenenGrundes, er stand und atmete die verborgeneWärme, das tiefe Alleinsein. Dahinten, zuWolken versilberten Laubes hinab, stieg dieflimmernde Treppe seines Hauses, die Vasenrannen über von Licht, die Stufen herniederging es wie eine Schleppe. Sie ward bewegt!Aus ihren Falten neigte sich ein Fuß! . . . „Washeißt das?“ dachte Cromer. „Jetzt habe ichalso Gesichte? Ich scheine nicht eben glücklichzu sein — wenn gerade sie sich mir zeigt?“ Erfragte noch: „Wäre ich es denn zufrieden, daßsie, wie früher, wenn ich aus der Stadt heimkam,bei dem Busch dort auf mich zuträte?Bin ich schon alt und müde genug, um billigzu sein und mich zu bescheiden? . . . Sie hatwohl gebüßt,“ sagte er; aber er hob die Schultern.„Buße? Ein Wesen wie sie, stirbt ausZorn, seiner Selbstachtung zuliebe, oder einfachum des guten Abgangs willen. Nicht für michist sie gestorben! Ich habe ihr nicht zu dankengehabt. Ich habe nichts bereut.“

Auf der Terrasse angelangt, wendete er sichnochmals um; er sah aufwärts und hinab, zudem Garten, der dunkel duftete, und in diebreiten Sternenströme des Augusthimmels.„Wer schlafen geht, versäumt viel, — aberauch, wer denken und handeln geht . . . Unsereinerweiß dies von vormals; ganz erfaßlichsind solche Nächte nicht mehr für uns . . . Wasfür Gedanken übrigens bei jemand, der geradeswegsaus einer Versammlung von Machtmenschenkommt! Ich kenne mich längst, dieFragen sind erledigt, ich habe nichts versäumt,was mir gegeben war. Erfolge: ich habe siegekannt. Ich habe mit Menschen übergenug zutun gehabt, ich habe Frauen und Männer erobertund niedergekämpft, habe vielen die Spurmeines Daseins aufgedrückt, die mich hassenoder lieben mußten. Ich habe selbst gehaßt,selbst geliebt.“

Er zog sich gegen die Fassade zurück, in denSchatten eines Pilasters. „Wie dies alles schalwird, sobald man es sich rühmen möchte! Wiees zerrinnt! Menschen: habe ich denn mehr beiihnen erfahren, als ein kraftloses und schmerzlichesaneinander Hingleiten? Das Leben istvergangen wie eine Diskussion im Klub; manhat einander amüsiert oder weh getan, zumSchluß aber steht jeder auf, mit seiner Meinung.In Wahrheit habe ich keinen Mann überzeugt,keine Frau ganz gewonnen, habe niemand je zumir herübergebracht.“

Angstvoll folgte sein Blick der Bahn derSterne, die

...

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